Schmid, Dr. Angelika
„Sein Gesicht hat den schmerzlichen Ausdruck unserer Zeit.“ Zwei Meisterwerke und ihre interessante (wechselvolle) Geschichte Nur wenige Wochen vor seinem Tod am 28. Juli 1890 porträtierte Vincent van Gogh seinen damaligen Arzt Dr. Paul-Ferdinand Gachet im französischen Auvers-sur-Oise. Es entstanden zwei Fassungen: eine gehörte dem Nervenarzt, die andere dem Maler. Schon im Juni 1890 hatte Vincent an seinen Bruder Theo geschrieben: „Herr Gachet ist fanatisch auf das Portrait versessen. Er will, dass ich unter allen Umständen, wenn ich es kann, ein Portrait für ihn fertigmache und zwar genau das, das ich jetzt male.“ Der Vortrag zeichnet die wechselvolle Geschichte der Bilder nach, die zumindest in einem Fall von äußerst interessanten Besitzerwechseln gekennzeichnet ist, die auf besondere Weise mit Kulturpolitik und Kommerz des 20. Jahrhunderts verknüpft ist. Darin bewahrheitet sich auch der Satz des britischen Kunsthistorikers Michael Baxandall: „Gemälde sind unter anderem versteinerte Formen des ökonomischen Lebens.“ Nehmen Sie also teil an einer Spurensuche der besonderen Art!
Zwischen 1906 und 1912 gehörte der in Zwickau geborene Max Pechstein, der ab 1903 drei Jahre lang an der Kunstakademie Dresden studiert hatte, der Künstlervereinigung „Die Brücke“ an. Ebenso wie etwa Ernst Ludwig Kirchner oder Karl Schmidt-Rotluff versuchte er, subjektive Gefühle bildlich so temperamentvoll umzusetzen, dass sie den Betrachter intensiv und sinnlich berühren. Dabei waren ihm Farbe und deren gestischer Auftrag neben Formvereinfachungen das wichtigste gestalterische Mittel. Neben Henri Matisse, dessen Arbeiten er in Paris sah, war für ihn die Kunst von Vincent van Gogh ein entscheidender Impuls. Der Vortrag stellt Werke aus den unterschiedlichsten Schaffensphasen des Künstlers vor und legt seine Inspirationsquellen wie Reisen und Aufenthalte an der Kurischen Nehrung und der Süd- und Ostsee offen. In Anlehnung an die umfangreiche Pechstein-Ausstellung im Kunstmuseum Wiesbaden im Frühjahr 2024 wird anschaulich, wie die Sonne zu einem zentralen, kreativen Motiv im Schaffen des Künstlers wurde. Kurz vor seinem Tod 1955 wurde Pechstein noch zur Teilnahme an der documenta 1 in Kassel eingeladen.
Die herausragende Sammlung des Wallraf-Richartz-Museum & der Fondation Corboud in Köln Das Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud - kurz Wallraf genannt - gehört zu den ältesten Museen Kölns und besitzt mit Werken vom Mittelalter bis zum frühen 20. Jahrhundert eine der großen klassischen Gemäldegalerien Deutschlands. Seine Sammlung impressionistischer Malerei ist gar die größte in Deutschland - nicht zuletzt dank der Gemälde der Fondation Corboud, die im Jahre 2001 als Stiftung des Schweizer Sammlers Gérard J. Corboud und seiner Frau an das Wallraf übergegangen sind. Sehenswerte Werke von Gustave Caillebotte, Edvard Manet, Claude Monet, Berthe Morisot, Camille Pissarro, August Renoir, Paul Signac, Alfred Sisley und den Bildhauern Jean-Baptiste Carpeaux und Auguste Rodin werden vorgestellt und geben einen eindrucksvollen Überblick über die künstlerischen Neuerungen des Impressionismus. Unter dem Titel „1863 • PARIS • 1874: Revolution in der Kunst“ zeigte das Wallraf im Frühjahr / Sommer 2024 eine große Sonderausstellung, die den Weg der französischen Malerei vom Salon bis zum Impressionismus nachzeichnete und mit weltweiten Leihgaben veranschaulichte; auch davon wird im Vortrag die Rede sein.
Gemeinsam mit den Schweizer Künstlern Paul Klee und Louis Moilliet unternahm August Macke vom 6. bis zum 22. April 1914 eine Reise nach Tunesien, die als „Glücksfall für die Kunstgeschichte“ gilt. Während dieser 14tägigen Rundreise fertigten die drei eine Vielzahl von Zeichnungen und Aquarellen an. Etliche davon wurden für Macke bei seiner Rückkehr nach Hilterfingen in der Schweiz zu Inspirationsquellen für berühmt gewordene Gemälde wie das „Türkische Café I und II“. Einerseits faszinierte Macke vor allem die für europäische Augen fremdartige Kleidung der männlichen Bevölkerung, andererseits schlug sich der intensive Arbeitsaustausch mit Paul Klee in seiner eigenen Bildgestaltung nieder. Beide Künstler gerieten in einen wahren Schaffensrausch. Während Klee konstatiert, „im alles durchdringenden, alles zusammenziehenden und entmaterialisierten Licht Nordafrikas die Eigengesetzlichkeit der Farbe“ zu entdecken, schreibt Macke an seine Frau Elisabeth: „Ich bin in einer Arbeitsfreude, wie ich sie nie gekannt habe.“ Klee, Macke und Moilliet, der Tunesien schon vorher bereist hatte und quasi als Reiseleiter für die anderen fungierte, trugen mit ihren damals realisierten Werken zu einem neuen Orientbild in der Kunst bei.
Oskar Kokoschka (1886 - 1980) und Alma Mahler (1879 - 1964) Liebeswahn und Ausdruckskraft Im Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts verliebte sich der am Beginn seiner Karriere stehende expressionistische Maler Oskar Kokoschka in Alma Mahler, seit 1911 Witwe des berühmten Komponisten Gustav Mahler und bekannte Salonnière der Wiener Gesellschaft. Es beginnt eine leidenschaftliche, obsessiv zu nennende dreijährige Liebesbeziehung, die Oskar Kokoschkas Persönlichkeit nicht nur zutiefst erschütterte, sondern auch zu zahlreichen Gemälden, Zeichnungen, Fächern und einem Wandbild motivierte. Als eines der bedeutendsten Zeugnisse dieser intensiven, besitzergreifenden Liebe gilt das Bild „Die Windsbraut“ von 1913/14, das heute zum Bestand des Kunstmuseums Basel gehört, und das den frühexpressionistischen Lyriker Georg Trakl zu dem Gedicht „Nacht“ inspirierte. Den Höhepunkt dieser kreativen Besessenheit stellt eine lebensgroße Puppe mit dem Erscheinungsbild von Alma Mahler dar. Diese ließ der Künstler Jahre nach Beendigung der Beziehung 1919 nach seinen Entwürfen von der Puppenmacherin Hermine Moos anfertigen. „Frau in Blau“, im selben Jahr entstanden, war das erste Gemälde, welches diese Puppe zum Thema hat und einen prägnanten Wendepunkt in Kokoschkas Malweise ankündigt. Zum ersten Mal seit über 30 Jahren wurde im Frühjahr 2025 in einer Ausstellung des Essener Folkwang Museums ein Großteil der Werke vereint, die die „Amour fou“ zwischen Kokoschka und Mahler zur Anschauung bringt.
Otto Müller (1874 - 1930) gehört zu den weniger bekannten Expressionisten: Obwohl nicht Gründungsmitglied der Künstlervereinigung „Die Brücke“ war er von 1910 bis 1913 ein bedeutsames Mitglied. Wie E. L. Kirchner, E. Heckel oder M. Pechstein wandte er sich von der akademischen Malerei ab und versuchte, durch Reduktion auf Form, Fläche und Farbe die Ausdruckskraft seiner Bilder zu steigern. So formulierte er: „Hauptziel meines Strebens ist, mit größtmöglicher Einfachheit Empfindungen von Landschaft und Mensch auszudrücken.“ Folgerichtig steht vor allem der weibliche Akt in der Landschaft im Mittelpunkt seines Schaffens. Als Inspirationsquelle für das freie Leben und ein intensives Naturerlebnis dienten ihm ebenso wie seinen Malerkollegen Sehnsuchtsorte und fremde Kulturen. Bei Müller, der seine Bilder bevorzugt mit Leinöl auf Jutegewebe malte – was die Farben gedämpfter erscheinen lässt – war das neben Fehmarn und Böhmen vor allem der Balkan. Anlässlich seines 150. Geburtstages widmete das LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster Otto Müller im Herbst/Winter 2024/25 eine umfassende Ausstellung mit nationalen und internationalen Leihgaben.